Maria Weissenböck

UKRAINISCH | BELARUSSISCH | RUSSISCH

Meine Begeisterung gilt der zeitgenössischen ukrainischen Literatur. Seit 2004 übersetze ich aus dem Ukrainischen, Belarussischen und Russischen - Prosa, Lyrik, fallweise auch Sach- und Fachtexte, u.a. für die Verlage Suhrkamp, Haymon, KiWi und Residenz.
2004 gewann ich den Übersetzerpreis der Stadt Wien; ich war Stipendiatin verschiedener Übersetzerwerkstätten, dolmetsche im Kulturbereich und organisiere bzw. moderiere Lesungen meiner AutorInnen.

Biobibliographie

Kontakt

maria.weissenboeck[at]literatur-uebersetzen.wien
+43 650 2332930 | Donaustraße 107/1 | 2344 Maria Enzersdorf

 

manuskripte | Zeitschrift für Literatur 203/2014 (140-144)

Gedichte von Volja Hapeyeva

Übersetzung aus dem Belarussischen

Leseprobe

manuskripte | Zeitschrift für Literatur 203/2014 (140-144)

Volja Hapeyeva, Gedichte

*********************

du hast mich im Dezember gestorben
ein Grammatikfehler und deshalb erschien es unmöglich
von intransitiv zu transitiv wurde
der Schmerz
den ich einst so tief ich nur konnte vergrub
bei dir
nun müssen mein Schmerz und ich aufbrechen
ein Koffer für zwei und ein Fahrschein
in eine Richtung natürlich nur
mein Schmerz und ich werden auf Bahnhöfen vagabundieren
auf Busbahnhöfen und Geleisen
ja so eine lange Reise
ist uns bestimmt
neun Kreise der Hölle – so lautet es offiziell
oder ganz einfach – tot bei lebendigem Leibe
pathetisch irgendwie
doch ohne Bedeutung
laut Vertrag bin ich in dieser Episode die Böse und muss gehen
nicht in 64 Jahren
sondern sofort
den Platz räumen für bessere Stories
viel zu spät retournierte Dinge gemeinsam gezeugte Worte
sind die letzten Zeugen dass da einst
ein Pronomen erster Person Plural war
doch Zeugen leben bekanntlich nicht lange
auf der Müllhalde von Katzen und einem Hund auseinander gezerrt
Pfoten halten die Hülle Zähnen zerfetzen die Namen
kurz und klein
ohne Hoffnung
endgültig unwiederbringlich
kein Flicken kein Kleben
für immer in Stücken
irreversibel und unheilbar
doch sorge dich nicht ich bin mutig genug
heimatlos zu vagabundieren und der Schmerz
ist mein größter
Trost

*********************

ich dachte nie dass ein Kleid zu tragen so schwer sein kann
einen Rock Absätze Kettenkram
und doch kein Christbaum zu sein
oder einer zu sein und es nicht zu sehen
es ist so unglaublich schwer
in einem Körper zu wohnen
der vielleicht nicht will
dass ich in ihm wohne
und ihn kleide
wie ich ihn kleide

vielleicht will er auffälliger für die anderen sein
verärgert über die weit geschnittenen Blusen
und ich antworte mit Ärger
vergesse dass jede von uns
oder jeder
nackt geboren wird
oder wurde …

im Vorzimmer vor dem Spiegel
erinnere ich mit den Augen was hinter uns liegt
und er
blickt zurück in Rage
weil ich wieder einmal das Falsche trage

Aus dem Belarussischen von Maria Weissenböck

magazyn literacki | literaturmagazin | літературний журнал

http://e-radar.pl und Druckversion
diverse Übersetzungen aus dem Ukrainischen seit 2010
Halyna Tkatschuk, Marysja Nikitjuk, Taras Prochasko, Tanja Maljartschuk, Andrij Pawlyschyn, Andrij Ljubka etc.

Leseprobe

magazyn literacki | literaturmagazin | літературний журнал

BÄREN FÜR MASCHA

Marysja Nikitjuk

[erste Szene]

 

Personen:

Mascha – Theaterkritikerin, 23 Jahre. Göre.

Lida – Maschas Mutter, 57 Jahre. Fauna.

 

Schnell lesen, emotional, ohne Pausen.

1.Szene

Lida steht in der Küche und macht Pfannkuchen, auf der Flamme daneben kocht gerade die Suppe auf, sie stellt die Pfanne zur Seite, hebt den Deckel des Suppentopfes und wirft frische Kräuter hinein. Dann dreht sie die Flamme ganz klein und schließt den Deckel. Eine Sekunde später brutzelt schon der nächste Pfannkuchen in der Pfanne. Nur ein Toter würde bei solchen Gerüchen nicht in die Küche schlurfen. Einen Toten gibt es nicht, stattdessen schlurft Mascha herein, etwas genervt, die Augen gerötet von der Computerarbeit.

Lida: Wir essen in ein paar Minuten. Was willst du?

Mascha: Was gibt es denn?

Lida: Alles.

Mascha: Dann alles. Meine Nerven brauchen Futter. Jetzt im Winter ist es besonders arg, am liebsten würde ich mich aufhängen.

Lida: Was faselst du da!

Mascha: Ich sage nur, wie es ist. Ich würde mich am liebsten aufhängen ... ich mach’s natürlich nicht, aber irgendwie, Mama, geht’s mir nicht gut ...

Mascha reibt sich die Hände, dann lächelt sie breit und zärtlich. Zärtlich, fast ironisch.

Lida: Schon wieder?

Mascha: Schon wieder.

Lida: Was schon wieder? Du erzählst ja nie etwas. Ich an deiner Stelle würde mir eine normale Arbeit suchen, naja, da hast du Kollegen, wirst sehen, dann ist alles anders. Ich habe davon geträumt, dass du berühmt wirst, dass man dich im Fernsehen sieht. Wieso solltest du nicht auch eine Society Show moderieren? Was gibt dir das Theater ... ich schaue jeden Abend die Show von Osadtscha ... du bist so hübsch und so klug  ...

Mascha: Mama, du weißt, dass ich vom Fernsehen weg bin, da ist es zum Kotzen und außerdem fad, und dort, wo es nicht fad ist, braucht man Protektion, hast du eigentlich eine Ahnung, was du dir da für deine Tochter wünschst, hast du auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht? Soll ich krepieren, während ich mit dem Kameramann auf dem Weg von einer Pressekonferenz zur nächsten im Stau stecke, soll ich mir die Augen beim Cutten verderben oder auf Pressekonferenzen mit allen möglichen Journalistenschweinen ficken ...

Lida: Wie redest du denn? So eine wie du kann sich wohl alles erlauben, du sitzt tagelang vor dem Computer und fickst trotzdem in der Gegend herum, wenn es wenigstens für etwas gut wäre. Pfui, was für ein hässliches Wort ... so unelegant ... du bist doch mein Blümchen ...

Mascha will etwas Ekelhaftes sagen, verstummt aber plötzlich.

Mascha: Naja, ja ...

Lida: Hast dir diesen Dima angelacht, der wird dich ohnehin nicht heiraten.

Mascha (aufbrausend): Verdammt, wozu soll ich heiraten? Wozu? Damit ich so ende wie du, wie alle? Mama, ich verstehe das nicht, ich bin keine Feministin, ehrlich, ich verstehe nur nicht, wie es sein kann, dass jeder mit irgendwem zusammenlebt, und keiner den anderen liebt, Mama, ich will das so nicht ... ich will mich nicht an den Herd fesseln lassen, ich will nicht so lieben, wie du Papa geliebt hast, du hast alles für ihn gemacht, und er hat’s einfach ignoriert, wie ein frigides Mädel, ich habe Angst, Mama ... Scheiße, mein Kopf ...

Mascha fasst sich an die Schläfen, setzt sich an den Tisch und drückt mit den Händen gegen den Kopf. Sie hat das Gefühl, als könne sie sich die Finger in den Nacken rammen, sie vergräbt die Hände tief in ihrem kurzen, strähnigen Schopf, dann kämmt sie sich mit den Fingern das Haar. Einen Moment lang nimmt sie diese Tätigkeit völlig in Anspruch, fast reißt sie sich an den Haaren, dann legt sie ihr Haar zu einem Häubchen.

Mascha: Häubchen-Täubchen, guten Tag, du geiles Säuchen.

Lida: Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt?

Mascha: Nein, das ist erst der Anfang.

Lida (will ihre Tochter von den Haaren ablenken, fragt vorsichtig): Was tut sich im Theater? Vielleicht besorgst du Papa und mir Freikarten ...

Mascha schaut Lida verwundert an, dann bricht sie in Gelächter aus.

 

Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck

Taras Prochasko | Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen | Roman
Übersetzung aus dem Ukrainischen | Suhrkamp | 2009

Ein dramatisches Zeitalter auf wenigen Seiten zu besichtigen, dazu bedarf es der minimalistischen Kunst eines großen Autors. Taras Prochasko verwandelt ein Familienepos, das Hunderte Geschichten birgt, in lauter erzählerische Extrakte, die eine versunkene Welt und ihre Bewohner heraufbeschwören und zum Gegenstand der Meditiation machen. Diese Welt heißt Stanislau und liegt im Karpatenvorland, einem Winkel des Habsburger Reichs.

mehr

Taras Prochasko | Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen | Roman
Übersetzung aus dem Ukrainischen | Suhrkamp | 2009

Ein dramatisches Zeitalter auf wenigen Seiten zu besichtigen, dazu bedarf es der minimalistischen Kunst eines großen Autors. Taras Prochasko verwandelt ein Familienepos, das Hunderte Geschichten birgt, in lauter erzählerische Extrakte, die eine versunkene Welt und ihre Bewohner heraufbeschwören und zum Gegenstand der Meditiation machen. Diese Welt heißt Stanislau und liegt im Karpatenvorland, einem Winkel des Habsburger Reichs. Nach zwei Weltkriegen ist dort nichts mehr wie zuvor. Nur der Enkel Taras wohnt noch immer im Haus seines tschechischen Großvaters an der Hauptstraße. Nicht nur ihre verworrenen Lebensläufe ruft er auf, sondern auch die vielen Dinge, die es einmal gab: »Manchmal, wenn ich nichts mache und nichts sage, scheint es mir, daß genau dies das allerrealste Ich ist. Eine Sammlung chaotischer, unnützer Dinge.« Diese Welt heißt Stanislau und liegt im Karpatenvorland, einem Winkel des Habsburger Reichs. Nach zwei Weltkriegen ist dort nichts mehr wie zuvor. Nur der Enkel Taras wohnt noch immer im Haus seines tschechischen Großvaters an der Hauptstraße. Nicht nur ihre verworrenen Lebensläufe ruft er auf, sondern auch die vielen Dinge, die es einmal gab: »Manchmal, wenn ich nichts mache und nichts sage, scheint es mir, daß genau dies das allerrealste Ich ist. Eine Sammlung chaotischer, unnützer Dinge.«

Link zur Leseprobe des Suhrkamp Verlags

Ljubko Deresch | Intent! Oder die Spiegel des Todes | Roman
Übersetzung aus dem Ukrainischen | Suhrkamp Verlag | 2007

Petro Pjatotschkin geht noch zur Schule, als er sein phänomenales Gedächtnis entdeckt. Ein Blick ins Buch genügt, um den Unterrichtsstoff abzuspeichern. Seine skurrile Begabung macht ihn zum Außenseiter und Grübler, der sich in wissenschaftliche Werke über Zeit und Bewußtsein vertieft. Er experimentiert mit sich selbst und stellt fest, daß er sich auch an Ereignisse erinnert, die er nicht erlebt haben kann.

mehr

Ljubko Deresch | Intent! Oder die Spiegel des Todes | Roman
Übersetzung aus dem Ukrainischen | Suhrkamp Verlag | 2007

Petro Pjatotschkin geht noch zur Schule, als er sein phänomenales Gedächtnis entdeckt. Ein Blick ins Buch genügt, um den Unterrichtsstoff abzuspeichern. Seine skurrile Begabung macht ihn zum Außenseiter und Grübler, der sich in wissenschaftliche Werke über Zeit und Bewußtsein vertieft. Er experimentiert mit sich selbst und stellt fest, daß er sich auch an Ereignisse erinnert, die er nicht erlebt haben kann. Im „Café Kosmos“, dem russischen Buchladen in Lemberg, lernt Petro eine junge Künstlerin aus Montreal kennen, die sich der abstrakten Malerei verschrieben hat. Ihre Bilder mit Titeln wie „Misted Mirror“ oder „Intent!“ erscheinen ihm als Symbole seiner „Gedächtniskunst“, er meint darin ihre Fähigkeit zu erkennen, wie er Parallelwelten zu sehen. Eine leidenschaftliche Liebe beginnt …

Link zur Leseprobe des Suhrkamp Verlags

Ljubko Deresch | Die Anbetung der Eidechse | Roman
Übersetzung aus dem Ukrainischen | Suhrkamp Verlag | 2006

Sommer 1993 im Karpatenstädtchen Midni Buky. Mischka hockt in der Datscha seiner Eltern, liest Edgar Allan Poe, hört Pink Floyd und ist in Dzwinka verliebt. Mit Hippie, seinem besten Freund, bilden sie einen eigenen Kosmos und schotten sich von der Außenwelt ab. Als »Brüder und Schwestern im Untergrund « ziehen sie den Haß von Fedja und seiner Proltruppe auf sich. Als die Feindseligkeiten in Terror ausarten, schmieden die drei einen Mordplan. Fedja muß sterben …

Leseprobe

Ljubko Deresch | Die Anbetung der Eidechse | Roman
Übersetzung aus dem Ukrainischen | Suhrkamp Verlag | 2006

Erstes Kapitel

1.

Alles wird gut, beruhigte ich mich.

Alles war auch wirklich gut. Es war eine Viertelstunde vergangen, seit ich mit ihm allein war; noch einmal so lange – und sie kommen zurück.

Ich betrachtete sein

(obwohl im orangen Stil)

weißes Hemd mit einem kleinen Alligator auf der Brust. Das zum Mund kriechende Blut auf seiner Oberlippe. Kein schlechtes »Klagelied der Ukraine«.

Alles war gut auf dieser orangen Welt, bis er den Mund aufriß und zu sprechen begann.

In dem Moment nahmen die Unannehmlichkeiten ihren Anfang.

2.

Ich liege auf der Veranda – sie ist hell, an drei Seiten mit Fenstern umgeben – und lausche dem Rauschen des Regens. Eine verglaste Veranda, erfüllt mit grauem Gewitterlicht, Regenschlieren an den Fenstern, ein altes (uraltes) Sofa mit einem einstmals roten Überzug. Ein betagter Kassettenrekorder leiert leise alte Nummern von Pink Floyd, die Pink-Floyd-Kassetten sind beinahe ordentlich an der Wand gestapelt. Den »Jupiter« habe ich, um besser zu hören, auf den nicht mehr taufrischen, vom Schicksal gezeichneten und von meinem Hintern malträtierten Hocker gestellt. Außer dem Sofa, dem Kassettenrekorder und einem kleinen Tisch mit ein paar Stühlen gibt es auf der Veranda eigentlich nichts. Und die wackeligen Büchertürme nehme ich gar nicht mehr wahr. Der Tisch in der Ecke ist alt. Mit Karton unter den Füßen und einer »Erika«-Schreibmaschine auf dem Rücken. Die Tischplatte zählt zehn braune Teetassenringe. Die Tasse hat einen Sprung, sie tropft. Ganz leicht.

Die Dinge gehen kaputt, geraten aus den Fugen und beginnen zu tanzen. Das ist typisch für Midni Buky. Hier beugt sich alles diesem Gesetz.